Jede Nation hat ihren Makel. Die Franzosen haben Napoleon und die Guillotine, die Deutschen ihre beiden Weltkriege und das Dritte Reich, die Engländer haben Heinrich VIII. und ihre Kolonialherrschaft, Amerika hatte die Sklaven und Bush, die Spanier ihre Stierkämpfe und gemeinsam mit den Portugiesen die grausame Ausrottung der Inkas und Azteken. Von Südafrika wollen wir gar nicht erst anfangen…. jedes Land kann einen oder mehrere Schandflecke in seiner Geschichte aufweisen.
Die Australier stehen solcher trauriger Berühmtheit in nichts nach, auch wenn es weltweit viel weniger Aufmerksamkeit erregt hat, als z.B. das, was in Afrika geschehen ist. Auch heute noch dringt kaum etwas aus diesem entfernten Kontinent in die Welt hinaus, oder wann hört ihr schon mal in den Nachrichten etwas über Australien?? Ausser Waldbränden oder schockierenden Hai,- und Krokodilgeschichten, ist Australien ein scheinbar unbeschriebenes Blatt. Friedliebend, dem Streit, Streik und Widerstand abhold, scheint es hier paradiesisch zuzugehen. Das tut es auch, aber noch nicht sehr lange.
Als 1788 England begann, den von Captain Cook als „Terra Nullis“ (Niemandsland!!!) bezeichneten Kontinent als neuen Lebensraum für zum Tode verurteilte Gefangene zu nutzen, begann für die Gefangenen zwar ein neues Leben, dessen sie sich sicherlich erfreuten, aber gleichzeitig begann das langsame Sterben der Eingeborenen-Kulturen und -menschen, der Aboriginals.
Die Gründung der „Kolonie der Diebe“ brachte mit den ersten Schiffen nicht nur 800 sieche, fast verhungerte und sich nach 8-monatiger Schiffsreise kaum auf den Beinen haltende Gefangene, sondern mit ihnen auch viele Krankheiten. Die Eingeborenen ahnten nichts Gutes und zogen sich immer mehr ins Landesinnere zurück, doch die Pocken und die britischen Gewehre und Waffen waren schneller.
„Wilde, grausame, schwarze Barbaren“ gehörten nun mal nicht zu der Sorte „Mensch“ und so brauchte man die Rechte und Wünsche der Aboriginals gar nicht erst ernst nehmen. Sechs Monate nach Gründung der Strafgefangenenkolonie, beschloss der erste Gouverneur Arthur Philip, Kontakt zu den Einheimischen aufzunehmen, um fest zu stellen, welchen Nutzen man aus dem einheimischen Volk für die Kolonie ziehen könne. Er ließ einen Eora-Mann entführen und steckte ihn in Ketten. Später „vertraute“ man ihm, steckte ihn in europäische Kleider und lehrte ihn Englisch. Doch die Pocken rafften ihn dahin. Dann wurden wieder zwei Eingeborene entführt, einer konnte fliehen und der Andere, genannt Bennelong, lernte schließlich Englisch und wurde Übersetzer und Vermittler zwischen dem Volk der Eora und den Engländern. Er lebte in einer für ihn gebauten Steinhütte am später so benannten „Bennelong Point“, das ist die Stelle, wo heute das Sydney Opernhaus steht. 1792 reiste er sogar mit dem Gouverneur nach England, wo er für großes Aufsehen sorgte, weil er kein „völliger Wilder“ war. Spätestens hier hätte man in England die Bezeichnung „Terra Nullis“ zurück nehmen und korrigieren müssen, aber das geschah nicht. Als Bennnelong nach Australien zurückkehrte, lebte er noch einige Jahre und starb dann an übermäßigen Alkoholkonsum, entfremdet von seinem eigenen Volk und doch nie zu den Kolonisten gehörend.
Im Laufe der folgenden Jahrzehnte kam es zu vielen blutigen Auseinandersetzungen („Frontier Conflicts“) zwischen der sich ausbreiteten Kolonie und den verteidigenden Einheimischen. Sie hatten keine Chance. Ähnlich dem Los der Indianer, entschied schließlich der Pulverrauch der Waffen, der Alkohol und die Seuchen, gegen die die Einheimischen keinerlei Immunschutz hatten.
Das Schicksal der indigenen Bevölkerung Australiens wurde bis vor wenigen Jahren totgeschwiegen, sowohl von den Geschichtsschreibern, als auch in den Schulen, es wird die „great silence“ (die große Stille) genannt. Tatsache ist, dass es viele Bruchstücke von Geschichten gibt, die von regelrechten Massakern unter den Einheimischen erzählen. Wer einen Einheimischen erschlug, ging noch bis Mitte des 20. Jhd. straffrei aus und erst 1957 erhielt der erste Aboriginal die australische Staatsbürgerschaft mit allen Rechten und Pflichten. Doch ein neues Staatsbürgerschaftspapier ändert nicht von heute auf morgen den in den Köpfen der Menschen herrschend Rassismus.
Eines der größten Verbrechen, wurde (wieder mal) an Kindern verübt. Bis 1972 wurden offiziellen Quellen zufolge 30.000 Aboriginal-Kinder von ihren Eltern getrennt und stattdessen in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht. Es wird vermutet, dass die tatsächliche Zahl der verschleppten Kinder die 100.000 übersteigt. Diese Generation nennt man „Stolen Generation“ (Gestohlene Generation).
Abgesehen davon, dass die zwangsweise Trennung der Kinder von ihren Eltern schon an sich ein grausamer Akt ist, wurde es jedoch noch menschenunwürdiger, weil man den Kindern vermittelte, dass alles das, was bisher ihr Leben ausgemacht hat, ihre Familie und ihre Rasse, schlecht sei. Der Kontakt zu den leiblichen Eltern wurde unterbunden, die Lebensbedingungen in den Heimen waren hart, die Ausbildung dagegen mangelhaft, für geleistete Arbeit erhielten sie keinen Lohn und körperliche Züchtigung, sowie sexueller Missbrauch waren an der Tagesordnung. Die wenigsten berichteten von einer glücklichen Kindheit.
Erst vor 5 Jahren (2009) gestand sich die australische Regierung offiziell die Grausamkeit dieser Praktiken ein. Kurz nach seinem Amtsantritt entschuldigte sich Premierminister Kevin Rudd in aller Form in einer halbstündigen Rede, die im Parlament gehalten und live weltweit gesendet wurde – ein besonders bewegender Moment für die australische Nation. Es wurde ein „Bringing Them Home“-Plan erarbeitet (Sie nach Hause bringen), wonach offizielle Hilfestellungen zur Familienzusammenführung geleistet werden sollten.
Zahlreiche Aboriginals der „Stolen Generation“ konnten erstmals Informationen über ihre Herkunft sammeln, konnten erfahren, wer ihre wahren Eltern waren, von welchem Volk sie abstammten, wo ihre Ahnen Spuren hinterließen. Vielen gelingt es bis heute nicht, dies in Erfahrung zu bringen. Man nennt sie „Lost Generation“ (Verlorene Generation), da ihre Herkunft verloren ging.
Durch die dadurch entstandene Vermischung mit der weißen Bevölkerung fanden andererseits viele weiß aussehende Australier jetzt erst heraus, dass sie (teilweise) einheimische Wurzeln haben und es entsteht ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Aboriginals, egal, ob vollblütig oder „fast weiß“, was sich langsam auch immer mehr auf nicht-indigene Australier ausweitet.
Erst die Generation, die heute in Australien zur Schule geht, lernt erstmals die Details der Diskriminierung kennen, während ältere Generationen Berichte gerne als aufgebauschten Journalismus abtun und bei ihren Rassen-Vorurteilen bleiben.
Es wird noch ein weiter Weg sein, bis die Einheimischen alle Rechte und Möglichkeiten wie jeder Australier nutzen und leben kann. Ähnlich den Indianern, fristet die Mehrzahl der Aboriginals ein Dasein in Reservaten und an der Flasche und hat eine 10-12 Jahre kürzere Lebenserwartung als die weißen Australier. Die über 200-jährige Geschichte des modernen Australien hat tiefgreifende Veränderungen der Landschaft, der Natur und der Spuren ihrer Ahnen verursacht, die das Land für Jäger und Sammler ungeeignet machen. Die indigene Bevölkerung kann nun wählen: entweder ein modernes Leben in der Stadt mit Ausbildungsmöglichkeiten, med. Versorgung, höherem Lebensstandard und als Minderheit zwischen Weißen, Asiaten und Europäern oder ein Leben in einer indigenen Gemeinschaft im abgelegnen Outback, wo die Versorgung und Infrastruktur weit unter dem Niveau der Kleinstädte liegt. Hier gibt es keine Arbeit oder alternative Beschäftigung, wozu es verstärkt zum Konsum von Alkohol und Benzinschnüffeln kommt.
Alle Möglichkeiten hat die indigene Bevölkerung heutzutage vielleicht – aber zu welchem Preis?